4. August 2010

Kamerun

Kickerkino in Kamerun

Der Wunsch Westafrika mit einem Kleinbus zu bereisen und dies in Verbindung mit einem Projekt, ließ die Idee entstehen, in Dörfern ohne Stromanschluss die WM auf Großbildleinwand zu übertragen. Als Land bot sich das fußballbegeisterte Kamerun an. Per Satellit, Videoprojektor und Generator sollen die Spiele live auf Leinwand projiziert werden.

Kurz vor WM-Start erreichen wir die Hauptstadt Kameruns Yaounde, mit im Gepäck einen Videobeamer. Das restliche Equiptment soll vor Ort besorgt werden. Durch die überfüllten. Strassen probieren wir unseren Weg durch das unübersichtliche urbane Chaos zu bestreiten. Von Montag bis Freitag steht Yauonde regelmäßig zur Rushhour vor einem Verkehrskollaps. Zwischen den sieben Hügeln der Stadt entflammt ein regelrechter Kampf um die Vorfahrt auf den überlasteten Straßen. Am besten meistert man hier seine Wege mit dem Motorrad. Taxifahrer, von Männern gezogene Holzkarren und andere Verkehrsteilnehmer stehen eher eng aneinander gedrängt auf den Straßen, als das sie sich bewegen könnten. Der Straßenrand ist gesäumt mit zahlreichen Straßenhändlern, die ihre Waren auf am Boden ausgebreiteten Tüchern und kleinen Tischen feilbieten. Auf einem unüberschaubaren Markt, auf dem selbst kurze, verrottete Kabelreste einen Käufer finden, machen wir uns auf die Suche nach einem Adapter, als plötzlich große Aufregung ausbricht. Der Himmel verdunkelt sich zusehends und in einem wilden Durcheinander werden die Waren vor dem bevorstehenden Regen in Sicherheit gebracht. Riesige Wassermassen prasseln auf uns herab. Während sich einige Strassen in Kanäle verwandeln und sich tiefe Wasserlöcher bilden, suchen wir Zuflucht in unserem Auto. Kurze Zeit später scheint wieder die Sonne und die unterbrochene Geschäftigkeit blüht neu auf.

Nach einem anstrengenden Einkaufstag ist alles zusammen getragen: Stromkabel von einen fliegenden Straßenhändler, eine Musikbox aus dem nigeriansichen Viertel, Generator und Sat-Anlange aus einem kleinen Laden in der Nähe des Omnisport Stadions.

Nur die Leinwandsuche gestaltet sich unerwartet kompliziert. Scheinbar ist es unmöglich weißes Material in gewünschter Größe preiswert zu erstehen. Auf der Suche nach weiteren Geschäften passieren wie einen LKW, der gerade entladen wird. Die Arbeiter wuchten sich schwere Zementsäcke auf ihre Schultern und tragen sie in einen Lagerraum. Daneben liegt verlockend die große, weiße Abdeckplane des Trucks auf dem Boden. Obwohl aus mehreren kleinen Stücken zusammengenäht, macht sie einen soliden Eindruck. Glücklicherweise lässt sich der Spediteur davon überzeugen sie uns zu verkaufen.

Bei Dunkelheit kann die Technik pünktlich zum ersten Abendspiel ausprobiert werden. Neben kleineren Fehlkäufen, wie den chinesischen Verlängerungskabeln der Marke “Teng Peng“, die sich bei Gebrauch stark erhitzen und dann ihrem Namen alle Ehre machend mit einem Peng den Geist aufgeben, scheint alles zu funktionieren. 15 Minuten lang, dann stellt der Kanal die gebührenfreie Übertragung des Spiels ein. Ein Umtausch der Satellitenanlage in eine andere Pay TV-taugliche ist unumgänglich.


Der eigentlich recht sympathische Verkäufer hat darauf erwartungsgemäß keine Lust. Vor seinem Laden verfolgt eine Menschenansammlung auf einem kleinen Fernseher konzentriert ein Spiel. Er meint, dass er selber nur angestellt sei und einen Umtausch nicht entscheiden könne. Es ist ihm anzusehen, dass er am liebsten wieder zum Fernseher zurückkehren würde, um den weiteren Spielverlauf nicht zu verpassen. Nach zähem Feilschen bekommen wir die Hälfte des Geldes und den Rest in Sachwerten erstattet. Bei Kanal Plus gibt es eine Satellitenanlage mit Prepaid Karte zur WM im Angebot. Etwa 60 Euro kostet die gesamte Anlage mit Karte für einen Monat. Beim Ausprobieren scheint diese ebenfalls nicht in gewünschter Weise zu funktionieren. Der Grund hierfür ist, wie sich später herausstellen soll, der von den zahlreichen afrikanischen Kinder als Spielzeug gebrauchte und nun defekte Satellitenfinder und nicht die Anlage an sich.

Im Glauben ein nicht funktionsfähiges Gerät erstanden zu haben, wird dem technischen Dienst von Kanal Plus ein Besuch abgestattet. Unsere Reklamation kommt offensichtlich unpassend, denn gleich wird das erste WM-Spiel Kameruns gegen Japan angepfiffen. Ein kurzer Check der Komponenten ergibt ihre Funktionsfähigkeit. Unser Wunsch, diese in unserem Auto vor dem Laden zu testen, stößt auf Ablehnung. Die Lage ändert sich nachdem wir unser Projekt schildern. Plötzlich hilft uns zuvorkommend die gesamte Belegschaft die Technik zu montieren. Kurz vor Beginn des Spiels leeren sich die Straßen merklich. Auf der zuvor stark befahrenen Straße ist kaum noch ein Auto oder Motorrad zu sehen. Der Fastfood Imbiss hat soeben geschlossen. Die Stände, an denen man sonst zu dieser Zeit telefonieren oder einzelne Zigaretten kaufen kann, sind verlassen. Da unsere Karte noch immer nicht frei geschaltet ist, werden wir in den Laden gebeten, um das Spiel mit anzusehen. Vor einem Großbildschirm drängt sich die Crew des Technikservice und verfolgt den Spielverlauf. Als alle herum stehenden Fernsehgeräte und Kisten besetzt sind, kommen unsere Campingstühle sehr gelegen.

Gleich am nächsten Tag brechen wir auf. Im ersten Dorf angekommen, begrüßt uns der Chef des Dorfes Emmanuel und seine Familie freudig mit Palmwein und kleineren Snacks. Die Wände seines Zimmers sind mit Familienportraits gesäumt. Wir erfahren, dass zwei seiner Brüder gestorben sind, einer erst kürzlich. Beide hatten gut bezahlte Posten in der staatlichen Verwaltung und beim Militär. Der Verlust bedeutet wohl auch einen finanziellen Einschnitt, da in Kamerun die Familie als Sozialsystem fungiert. Gut verdienende Familienmitglieder unterstützen die Verwandten. Im Anschluss widmen wir uns dem Aufbau der Technik. Erstaunlich schnell ist alles einsatzbereit und pünktlich zum Anpfiff sind wir fertig. Fast zeitgleich beginnt es zu regnen. Eine am Auto befestigte Plane bietet Schutz für einen Teil der Zuschauer. Zusammen mit etwa 20 dem Regen trotzenden Fussballfans schauen wir uns das Abendspiel und anschließend einen Film an. Trotz Plane durchnässt und ziemlich enttäuscht, stellen wir den Strom ab und packen das Equipment zusammen. Das Ganze hatten wir uns doch etwas anders vorgestellt. Doch wer rechnet schon mit der Regenzeit? Zu allen Überfluss werden wir von kleinen, fiesen, Blut saugenden Fliegen namens Mutmut angefallen. Binnen eines Tages sind alle unbedeckten Hautpartien mit Stichen übersät. Zum Frühstück bekommen wir vom Dorfchef Palmwein gereicht, auch er schenkt sich ordentlich ein. Wir haben es hier offensichtlich mit einem wirklichen Liebhaber dieses Getränkes zu tun. Am nächsten Abend regnet es wieder, so dass auch der zweite Kinoabend ins Wasser fällt.


Als wir am Morgen ins nächste Dorf „Omuk 1“ aufbrechen, bekommen wir zum Abschied verschiedene Früchte gereicht. „Omuk 1“ unterscheidet sich von den beiden Nachbardörfern nur durch die Zahl hinter dem Ortsnamen. Wie wir feststellen ist das Dorf ans Stromnetz angeschlossen und das Licht wird aus Angst vor Kabeldieben nicht einmal nachts ausgeschaltet. Wir bleiben trotzdem. Die Leute sind nett, das Ambiente ist ansprechend und die Örtlichkeit vor der wir unser Kino aufbauen können einfach ideal: eine Dorfkneipe mit großer überdachter Terrasse, vielen Bänken und gekühlten Getränken. Ein Dorfbewohner namens Gilbert erklärt sich sofort bereit beim Leinwandaufbau zu helfen. Drei Bambusstangen werden in den Boden eingebettet und die Leinwand daran mit Seilen bespannt. Drei Nächte übertragen wir hier die Weltmeisterschaft und zeigen jeweils im Anschluss Spielfilme. Als am letzten Abend Kamerun gegen Serbien spielt, ist die Wiese vor sowie hinter der Leinwand voll besetzt. Aus sieben umliegenden Dörfern sind ganze Familien angereist um ihre Nationalmannschaft siegen zu sehen. Als das erste Tor für Kamerun fällt, springen alle auf. Minutenlang wird getanzt und gejubelt. Das Ausgleichstor bremst die Euphorie merklich und als beim Schlusspfiff klar ist, dass Kamerun rausfliegt, liegt die Stimmung am Boden. Anstatt einer Siegesfeier auf einen Dorf in Kamerun miterleben zu dürfen, löst sich die Veranstaltung rasch auf. Im Schein der Petroleumlampe genießen wir fast allein gelassen noch ein paar Bier.

Leinwandaufbau


Eine weitere Station des WM-Kinos ist ein Kinderheim im elektrifizierten Dorf Ekite 2 in der Nähe von Edea. Dort befindet sich ein großes Wasserkraftwerk welches versucht, annähernd das ganze Land mit Elektrizität zu versorgen. Die engagierte Leiterin Kristin nahm nach dem Tod von Freunden deren Kinder auf. Daraus wurde ein richtiges Waisenhaus. Hier versorgt sie ohne staatliche Hilfe 15 Kinder, 15 weitere sind bei Familien in der Umgebung untergebracht. Gleich die erste Vorstellung ist gut besucht. Neben den Kindern kommen auch jede Menge Leute aus der Nachbarschaft, um sich das Spiel Brasilien Elfenbeinküste anzuschauen. Auf in mehreren Reihen aufgestellten Stühlen sitzen vorne die Kids und freuen sich über jede Torchance, egal von welchem Team. Weiter hinten sitzen und stehen die Erwachsenen. Ein sichtlich besoffener Zuschauer grölt das ganze Spiel durch. Das scheint hier aber niemanden zu stören, man spendiert ihm nichtsdestotrotz weiter Palmwein. Nach dem Spiel erklärt uns der anstrengende Zeitgenosse umständlich, dass wir jetzt in Afrika sind und er Pornos auf der Leinwand sehen will. Wir zeigen stattdessen Wallce und Gromit sowie russische Zeichentrickfilme. Am nächsten Morgen steht er wieder auf der Matte mit einer Plastikkaraffe Palmwein in der Hand und hofft auf die nächste Spielübertragung. Idioten gibt es halt überall und erfreulicherweise ist er die Ausnahme. Im Allgemeinen sind die Menschen in Kamerun sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Während den Spielübertragungen auf den Dörfern wird mehr Brunnenwasser als Alkohol konsumiert. Leckeres Essen, ein komfortables Zimmer und eine Autoreparatur lassen uns in Ekite 2 mehrere Tage verweilen. Der Abschied fällt schwer: viele kleine Kids mit großen Augen wollen wissen, wann wir wiederkommen werden.

Kristin

Das Kinderheim in Ekite




Nun bauen wir die Leinwand in Mumb1 auf. Es ist ein Nachbardorf von Omuk 1, so dass wir viele bekannte Gesichter wieder sehen. Bisher wurden die Häuser der Bewohner nicht ans Stromnetz angeschlossen. Doch das soll sich nun ändern. Eine chinesische Firma ist vor Ort und verlegt neue Leitungen. Täglich schaffen die kamerunischen Arbeiter es, einen neuen Strommasten aufzustellen. Dies geschieht zu recht ungewöhnlichen Arbeitszeiten: einen Tag nach Einbruch der Dunkelheit, wiederum am nächsten Tag in der Mittagshitze. Verschiedene Probleme werden mehr oder weniger effizient gemeistert. Mal brauchen sie eine Stunde, um mit einem LKW einen schlammigen Weg hinaufzukommen. Ein anderes Mal bricht ein Truck in eine Holzbrücke ein. Dabei verlieren sie einen Transformator und ramponieren die Brücke. Trotz dieser Unwegsamkeiten und einer gewissen Portion Dilettantismus geht die Arbeit voran. Der Dorfchef Joseph schaut sich das alles interessiert mit einer Gelassenheit an, wie man sie wohl nur in Afrika antrifft. Bereits mehr als 20 Jahre sind seit dem ersten Versprechen der Regierung, das Dorf an die Stromversorgung anzuschließen, vergangen. Diesmal ist er zuversichtlich, dass etwas daraus wird. Zur WM-Übertragung müssen wir vorerst noch den Generator einsetzen. Zur Halbzeit werden kulinarische Köstlichkeiten serviert: Gemüse, Reis und Fleisch. Die Frage welche Art von Fleisch wir gerade essen, wird stolz mit Affen beantwortet, selbst gejagt wie sich versteht. Zwei Tage später werden wir selbst Zeuge von den Jagdkünsten des Dorfchefs. Er nimmt uns mit auf seine angrenzende “Buschfarm“. Was auf uns mehr wie Busch als Farm wirkt, ist seine Lebensgrundlage als Subsistenzwirtschaftler: landwirtschaftliche Kultivierungen und Jagdgründe in Einem.


Bushmeat


Mit einem antik wirkenden Gewehr und recycelten Schrotpatronen bewaffnet machen wir uns auf den Weg. Wir durchqueren einen Fluss und folgen einem schmalen Pfad. Über einen morschen Brettersteg geht es durch geflutetes Dschungelterrain bis wir selber im knietiefen Wasser waten. Es folgt ein schlammiger Dschungeltreck. Zwischendurch sind auf kleineren Lichtungen Mais-, Kürbis-, Kakao-, und Ölpalmplantagen angelegt. Er zeigt selbst gestellte Tierfallen am Wegesrand und erklärt tropische Heilpflanzen und Fruchtbäume. Jeder von uns pflanzt einen Colanussbaum. Joseph meint nun hätten wir einen Grund wiederzukommen. Nach einer längeren Wanderung erblicken wir, in einer Baumkrone herum springend, eine Art Buscheichhörnchen. Joseph entsichert sein Gewehr und legt an. Als beim Abdrücken nichts passiert, wechselt er die Patrone und untersucht andere mögliche Problemquellen. Zwischenzeitlich ist die anvisierte Beute längst verschwunden. Leicht verärgert hängt er sich sein Gewehr wieder über die Schulter. Zu Hause angekommen wird das Gewehr in seine Einzelteile zerlegt. Mit einer Feile wird eine rostige Feder gekürzt, zurechtgebogen und wieder eingesetzt. Die Jagd kann weiter gehen, unsere Reise ebenfalls.

Eichhörnchen noch mal Schwein gehabt

Gilbert beim Palmöl kochen

Zu Hause bei Gilbert

Aufgrund der stärker werdenden Regenfälle entschließen wir uns, direkt zur nigerianischen Grenze weiterzufahren und somit das WM-Kino-Projekt in Kamerun zu verkürzen. Die Strasse zwischen Mamfe und der nigerianischen Grenze ist unter Reisenden berühmt berüchtigt für seinen katastrophalen Zustand. Speziell in der Regenzeit kann das Passieren dieser 100 Kilometer von einigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen in Anspruch nehmen. Wir haben jedoch mal wieder Glück. Chinesen haben die Strecke ausgebessert und die Teerung ist geplant, wie die Bewohner des grenznahen Dorfes Nasaragati berichten. Sie sind Touristen gewöhnt. In der Vergangenheit begleiteten sie Overländer mit Schippen und Spaten zur nächsten Stadt und haben diese kollektiv aus den Schlammlöchern befreit. Heute freuen sie sich auf die neue Infrastruktur. Neben der neuen Strasse soll ihr Dorf ebenfalls ans Stromnetz angeschlossen werden. Ausnahmsweise durch eine spanische Firma. Im zu erwartenden steigenden Verkehrsaufkommen sehen sie kein Problem. Lärm scheint in Afrika ohnehin niemanden zu stören. Sie träumen davon ihre angepflanzten Ananas auf die Märkten der umliegenden Städte zu bringen und sich einen eigenen Fernseher leisten zu können. Der Saft dafür soll aus der eigenen Steckdose kommen.

Kino in Nasaragati


an der transnationalen Strasse Mamfe-Ekok





Kamerun sucht den Superstar...


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