8. April 2008

Sudan

Überfahrt nach Afrika

In Erwartung einer leicht verspäteten Fährabfahrt, kommen wir etwa eine Stunde später am Islamic Port of Jeddah an, um auf unserem Schiff einzuchecken. Wir erhalten jedoch erstmal eine Lehrstunde in afrikanischer Pünktlichkeit. Nur langsam füllt sich der Wartesaal mit den anderen Passagieren und ihrer Fracht. Vor dem Abfertigungsschalter abgestellte Gepäckstücke nehmen den Platz in einer imaginären Warteschlange ein. Ab und an führen dort kleinere Regungen des Hafenpersonals zu Gedränge zwischen den Reisewilligen. In der Hoffnung eine gute Position für eine schnelle Abfertigung zu erhaschen, wird es öfter, kurzzeitig eng in diesem Bereich.

Ansonsten liegen die meisten Reisenden lethargisch, ja fast meditativ anmutend auf den Wartebänken. In einer Cafeteria vertreiben wir uns lesend die Langeweile. Fotografieren ist in der gesamten Hafenanlage streng verboten. Lediglich der Eingang der Frauentoiletten wird videoüberwacht.


Wann startet Raumschiff Orion?


Nach etwa acht Stunden Verspätung beginnt die Abfertigung. Durch einen zweiten Ausgang des Cafés, können wir uns geschickt vordrängeln und sind somit ganz vorne. Das eintägige Überziehen unseres Transitvisums stellt glücklicherweise kein Problem dar. Es wird lediglich der Ausreisestempel mit einen für die Einreise verwechselt, was die rituell erscheinende Prozedur noch ein bisschen verlängert. Aber bis zum Wiedersehen mit Flitzer sollen noch einige Stunden vergehen und bis zur Abfahrt noch Weitere.

Diese können wir erfreulicherweise an Bord mit einer Bootsführung überbrücken. Der zweite Maschinist der Crew erklärt uns bereitwillig die verschiedenen Funktionen im Maschinen- und Kontrollraum. Hier erfahren wir auch, wie normalerweise das Schwanken des Bootes minimiert wird. Mit einem Lächeln wird uns erklärt, dass diese obligatorischen Funktionen auf unserem Schiff nicht mehr funktionieren. Der Kontrollraum mutet an wie aus einem 60er Jahre Science-Fiktion-Film, überall Hebel, Armaturen und blinkende Lämpchen.

Wo geht´s eigentlich hin?


Unser Nachquartier beziehen wir auf dem Deck unterm Sternenhimmel. Bei Sonnenaufgang erwacht Guido vom Gemurmel betender Moslems. Es gibt zwar eine Moschee an Board, da es dort aber zu langen Warteschlangen der Gebetswilligen kommt, wird das Deck zu einer Freiluftmoschee. Bei ruhiger See kommen wir irgendwann am folgenden Abend in unseren sudanesischen Zielhafen Suakin an.

Insha’allah nach Afrika!

Sudan

Mittlerweile sind wir also in Afrika. Angekommen sind wir hier des Nachts im Hafen Suakins an der Ostküste des Roten Meeres. Nachdem wir den „Entertainmentkomplex“ der sudanesischen Grenz- und Zollbeamten über maßen kennen lernen und angemessen entlohnen dürfen, bringt uns Flitzer in die ins nächtliche Dunkel getauchte Stadt. Das Licht einiger Öllampen weist uns den Weg zu einer noch offen Kochstube. Dort werden wir freudig begrüßt und auf eine Portion Fuul der sudanesischen Nationalspeise, gekochter graubrauner Bohnenmatsch in Öl, eingeladen. Einige Gäste grooven zu afrikanischen Rhythmen. Ein echter Ohrenschmaus nach dem arabischen Pop-Geleier. Wir suchen uns noch ne ruhige Ecke und schlafen dem Tageslicht entgegen. Nachdem wir des Nachts ungebetenen Besuch von unzähligen Moskitos haben, erklärt sich die Frage der Sudanesen bei der Einreise, ob wir zum Jagen hergekommen sind.

Willkommen in Suakin


Am Morgen beim Blick aus dem Busfenster, erleben wir einen definitiven Kulturschock. Nach dem supermodernen Jeddah in Saudi Arabien erblicken wir hier eine Ruinenlandschaft. Kaum ein Haus ist vollständig erhalten oder hat ein komplettes Dach, ringsum Trümmer und Müllberge. Die Häuserwände, errichtet aus porösem Muschelstein, lehnen erschöpft wie nach langen Mühen windschief aneinander. Auf der staubigen Sandstraße ein geschäftiges Treiben von Menschen, Kühen, Hühnern und Eselskarren. Auf unsere Fragen nach einer Bank oder einem Internetcafe reagieren die Leute mit verständnislosem Kopfschütteln. Dies ist also eine der wenigen, auf unserer Karte verzeichneten Städte Sudans.

Nur zum Teil, denn zufällig haben wir uns einen Schlafplatz in der nur noch teils bewohnten antiken Korallenstadt Suakins auserkoren. Also gleich eine Art Sehenswürdigkeit, aber das muss einem doch gesagt werden. Das eigentliche Suakin besteht aus meist einstöckigen weitaus intakteren Lehm- und Steinhäusern.

"Autobahnkirche“ auf sudanesisch.

Nach einem Abstecher nach Port Sudan, um nicht zu letzt weitere Einreiseformalitäten zu erledigen, fahren wir auf einer neuen, vor einem Monat freigegebenen Asphaltstrasse Richtung Atbara am Nil. Dann weiter am Nil entlang nach Meroe, der 2000 Jahre alten Königsstadt des meroitischen Reiches. Diesmal auf einer von den Bin Ladens gebauten Asphaltstrasse, deren Qualität im Sudan sehr gelobt wird.


Im Truckstopp

In Hamadab, einem verschlafenen Dorf am Nil, treffen wir Ulli, die dort auf einer archäologischen Grabung arbeitet. Wir bleiben - oh Zufall - direkt vor ihrer Haustür erstmals im Sand stecken. Das Wüstendorf besteht aus einfachen Höfen mit braunen Lehmhäusern, sand-verwehten Gassen und einer maroden, und doch von dahin schleichenden Zügen frequentierten Eisenbahnlinie. Mehr gibt’s dort eigentlich nicht zu sehen, doch ist in regelmäßiger Abfolge das unmusikalische Geplärre des örtlichen Minarett-Jodlers weithin zu hören. Hier verbringen wir drei Tage mit Nil-planschen, lesen und anderen erholsamen Nichtbeschäftigungen. Unter anderem führt uns Pawel fachkundigst durch die Pyramiden des Königsfriedhofs und die Residenzstadt Meroe.

Hamadab „down town“

Königsgräber von Meroe

Nun zu viert mit Ulli an Board, die endlich ihren Urlaub antreten kann, läuft erstmal eine Menge schief.

Unser nächstes Ziel sollte Musawwarat sein, ein anderer archäologischer Ausgrabungsort. Der Weg dorthin - 40 km feinster Sandpiste durch ein Wadi (trockener Flusslauf). Nach ca. 10 km rüttelfreudiger Piste und einigen harten Schlägen, wird Flitzer bockig und beginnt sich aufzulösen. Erst trennt sich der Motor einseitig vom Rest des Wagens, dann unser Dachgepäckträger vom Dach.

Vernünftigerweise müssen wir im Schleichtempo den Rückweg in ruhigeres asphaltiertes Fahrwasser antreten. Beim Versuch, eine Mautstation zu umschiffen, bleiben wir kurz vor dem ersehnten Asphalt im Sand stecken. Alle Muskelkraft ist vergebens, erst ein UN-Jeep errettet uns - auch vor der Horde befliessener Keksverkäufer im nervigen Kinderformat. Kurze Zeit später lernen wir auch die Tücken der Asphaltstrasse kennen. Ein „schlafender Polizist“ (speed breaker) bleibt von uns unentdeckt. Nach der rasanten Überfahrt fliegen wir ein gutes und unser Dachgepäckträger noch ein gutes Stück weiter.

Dachgepäckträger im Alleingang

Endlich in Khartum angekommen, ruhen wir uns im lauschigen Garten des DED-Gasthauses aus und nutzen fließendes Wasser, Waschmaschine und Küche ausgiebig. Wegen Geldmangels (man bekommt im Sudan aufgrund amerikanischer Sanktionen kein Geld auf Kreditkarten) schlafen wir Drei vor der Tür, im und auf Flitzer. Am nächsten Tag werden wir vom Wächter des DED (Deutscher EntwicklungsDienst) eingeladen, dort zu nächtigen. Freie Zimmer wären ja da und Geld sei nicht so wichtig. Als Fußballfan bekommt er zum Dank einen unserer Fußbälle überreicht. So kann sich Olli, der mit Magenschmerzen zutun hat und des Öfteren ein stilles Örtchen benötigt, in Ruhe etwas erholen.

In Khartum hat mit den Öleinnahmen seit einigen Jahren eine rasante Entwicklung eingesetzt. Überall entstehen neue Häuser und der Straßenbau kämpft gegen den drohenden Verkehrsinfarkt an. Andererseits gibt es große Viertel aus Lehmhütten, ohne Asphaltstrassen, mit unüberschaubaren Märkten. In einem solchen wollen wir den dortigen Kamelmarkt besuchen. Da keinerlei Straßenbeschilderung vorhanden ist, sind wir nach dem Motto „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ unterwegs. Nach ca. zwei Stunden werden wir am Stadtrand fündig. Vor uns eine Art Ranch, überall Viehgehege, parkende Trucks und leere, windschiefe Marktstände. Das ganze ist aufgrund eines leichten Sandsturmes nur schemenhaft zu erkennen. Irgendwie sind nur sehr vereinzelt Menschen wie auch Tiere unterwegs. Ziemlich schnell erfahren wir, dass heute kein Markttag ist. Wir bestaunen noch einige beeindruckende Langhornrinder mit schön geschwungenen, ausladenden Hörnen.

Diese werden vor allem im Süden Sudans gehalten. Es gibt Stämme, die jedem einzelnem dieser Rinder einen Namen geben, ein Hirte von klein auf für sein eigenes „Alter Ego“ als Rind verantwortlich ist und keines jemals geschlachtet wird. Diesen Hirten sind ihre Rinder heilig, sie werden von ihnen besungen, gehegt und ihnen wird ein eigener Charakter zugesprochen.

keine liebe lila Milka-Kuh


Als Flitzer wieder fit ist, Ulli sich noch ein paar Wechselsachen besorgt hat, da ihr komplettes Gepäck aus dem Bus geklaut wurde und die Genehmigungen für eine Fahrt in die Nuba Berge nach dem üblichen Sudanesische-Behörden- Spießrutenlaufen da ist, verlassen wir Khartum in Richtung Süden.

Hausboot am Nil

Auf dem Nuba- "Highway"

Der Weg in die Nuba Berge, einer Gebirgsregion westlich des Weißen Nils, gestaltet sich auf Grund der ausgewaschenen, steilen Steinpisten teils sehr kompliziert. Wir werden von Fahrrädern und Fußgängern überholt, ordentlich durchgerüttelt und eingestaubt. Teils müssen wir Flitzer entladen bevor wir es schaffen eine felsige Steigung zu erklettern.

Am Ende sind wir auf einer von Bergketten begrenzten und mit Akazien-, Mango- und Flaschenbäumen bewachsenen Hochebene. Unseren Aufenthalt verbringen wir in der schönen Landschaft, wandern in die Berge und zelten in der Steppe unter dem afrikanischen Sternenhimmel. Immer wieder kommen wir an malerischen Rundhüttendörfern vorbei.

Es gibt dort weder Elektrizität noch Wasser. Dies muss von weit her aus Wasserlöchern oder Brunnen der Umgebung herangetragen werden. Die Nuba sind meist Rinderhalter und wohnen in kleinen, verstreuten Dorfgemeinschaften. Zwar sind sie mittlerweile islamisiert, haben sich dennoch viele Eigenheiten, Traditionen, Essgewohnheiten etc. bewahrt.

Meistens werden wir erst bestaunt, dann auf seltsame Speisen und Getränke eingeladen, nach Herkunft usw. befragt. Da Ulli arabisch spricht, beschränken sich die Gespräche nicht nur auf Begrüßungsfloskeln.



kleiner Krieger

Ein von uns ausgedrucktes Foto stößt auf allgemeines Interesse

In den Nuba Bergen

In dieser Gegend gab es viele Jahre Bürgerkrieg es sollen noch viele Landmienen im Boden stecken. Die Leute warten auf eine Entwicklung ihrer Infrastruktur, sind sich ihres harten Lebens bewusst. Dennoch haben sie sich eine erstaunlich optimistische Art erhalten. Für die meisten Kinder sind wir die ersten weißen Menschen, die sie zu Gesicht bekommen. So verwundert es nicht - im Dorf angekommen - gleich von einer neugierigen Traube im Orgelpfeifenformat umgeben zu sein. Einige rennen bei unserem Anblick schreiend weg. Aber durch die mitgebrachten Fußbälle gewinnen wir sofort ihre Sympathie.

Nuba Junioren Nationalmannschaft

Auf dem Weg nach Äthiopien kommen wir in einen heftigen Sandsturm, waschen uns im Blauen Nil den Staub wieder vom Körper, den Haaren und den Sachen und bestaunen am Berg Moya einen 3000 Jahre alten Friedhof sowie die exzentrischen Gebäude, die sich der Ausgräber vor 100 Jahren aus riesigen Granitblöcken erbauen ließ. Errichtet aus tonnenschweren Felsblöcken und eisernen Trägern scheint es für die Ewigkeit gebaut, sein organisches Aussehen erinnert an Goya.



endlich wieder sauber



geräumiges Grabungshaus

Im Dorf werden wir von der ansässigen Polizeistation auf eine Cola einm Dorf werden wir von der ansässigengeladen. Wie im Western, mit Blick in die Natur, hinter einer Gittertür, sitzt ein Gefangener auf dem Lehmboden seiner Zelle und schaut uns beim Gespräch mit seinen Bewachern zu.In einem der minimalistisch ausgestatteten, erfahrungsgemäß doch sehr geschätzten Straßenrestaurants essen wir ein letztes Mal das "leckere Fuul" zum Frühstück. Dann geht es auf zur äthiopischen Grenze...



sudanesischer Fuultopf