15. August 2010

Nigeria

Die höhere Bevölkerungsdichte und die Geschäftigkeit sind das was uns in Nigeria als erstes ins Auge fällt. Auch ist der dichte Dschungel verschwunden und wir sind eher von Feldern oder brachliegender Savanne umgeben. Die Nigerianer sind uns gegenüber sehr gastfreundlich und meistens wird uns energiegeladen ein „Welcome“ zur Begrüßung entgegen gerufen. Allerdings vermissen wir die galante Zurückhaltung der Kameruner, der Umgang untereinander ist offensiver und schnell findet man sich inmitten einer Menschenansammlung wieder. Eine der ersten Fragen ist gewöhnlich die nach unserem Business, dass wir einfach nur Land und Leute kennen lernen wollen ist für einen Nigerianer oft schwer verständlich.

Die Schlaglöcher sind zahlreich und zu tief, als dass es ratsam wäre nachts weiter zu fahren. Wir nächtigen etwas abseits in einem Wäldchen und werden am Morgen von den Bewohnern freudig begrüßt und einer gepflegten Befragung unterzogen. Mit der Absicht näher mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen und unser Kino aufzubauen machen wir für einige Tage in einem kleinen Rundhüttendorf in der Nähe halt. Das Dorf besitzt kein eigentliches Zentrum. Weit verstreut zwischen Feldern liegen die Gehöfte der Familien. Diese kleinen Anwesen bestehen zumeist aus etwa zehn strohgedeckten Lehmhütten und einer großzügig überdachten Feuerstelle, welche auch als schattiger Treffpunkt dient. Als wir unsere Absichten erklären sind viele sofort begeistert und führen uns zu einem größeren Sandplatz mit einem etwas windschief wirkenden Konstrukt aus Ästen und Stroh. Wie wir später erfahren ist dies die örtliche Kirche. Hier heißt uns der Dorfälteste willkommen und macht uns mit seiner Familie bekannt. Schnell sind einige Bambusstangen gefunden und wir stellen unsere Leinwand auf. Es dauert allerdings lange bis uns die letzten Skeptiker glauben, dass wir keine Geschäfte machen wollen, nicht von der Regierung geschickt, keine Missionare oder Gott weiß was sind. Hier Vertrauen zu gewinnen dauert länger als aus Kamerun gewöhnt. Nach der ersten Nacht im Dorf stellt sich ein freundliches und offenes Miteinander ein. Wir wandern zusammen durchs Dorf, auf die Felder zum nächsten Markt, bekommen viel gezeigt, erklärt etc., nur die spontane Herzlichkeit die uns in Kamerun umfing und mit den Leuten verband haben wir in dieser Intensität hier nicht gefunden. Und na klar das kann man auch nicht immer erwarten.

Der Besuch des örtlichen Regierungsbeamten am zweiten Abend ist leider eine Art negativer Höhepunkt. Auch er kann überhaupt nicht verstehen, dass das Kino unser Privatvergnügen, ohne geschäftlichen Gewinn ist und hört nicht auf mit Fragen aller Art nach unseren eigentlichen, bestimmt profitablen Absichten zu forschen. Als er sein Pulver in diese Richtung verschossen hat fängt er an Hilfsforderungen zur Entwicklung seines Landes zu stellen. Als wir ihm daraufhin auseinandersetzen, dass die Entwicklung der Infrastruktur doch eine der Hauptaufgaben der Regierung sein sollte, der er angehört und diese Regierung durch die Öleinnahmen auch genug Geld zur Verfügung hat, allerdings in diese Richtung nicht allzu viel leistet, wird er ruhiger. Dies ist nicht das Thema welches er, der glänzende Beamte, mit uns und vor allem nicht mit den Einwohnern „seines“ Dorfes ausdiskutieren möchte. Ein sehr unangenehmer Mensch, der es fast schafft uns zur Abreise zu bewegen, wären da nicht all die Anderen mit denen wir den Tag verbracht haben und die sich nun aufs Kino freuen. So schnell lassen wir uns unsere Laune nicht vermiesen!

Irgendwo zwischen Feldern und Hütten in einem afrikanischen Dorf sitzend, mit all den Einwohnern, das feuchtwarme Klima auf der Haut, ein Schluck selbstgebrautes Palmbier in der Hand, aus der Ferne wehen fremde Tiergeräusche herüber und auf großer Leinwand fangen irgendwelche Spieler an die deutsche Nationalhymne zu singen, da muss man kurz innehalten und sich kneifen. Was für ein verrückter Moment.

Nach dem Fußballspiel zeigen wir einen nigerianischen Film der hier sehr gut ankommt. In Nigeria hat sich insbesondere in Lagos eine große Filmindustrie entwickelt, die den afrikanischen Markt mit billigst produzierten Filmen versorgt. Die Kameraführung, der Ton, die schauspielerische Leistung… sind oft von so bisher nicht gekannt minderer Qualität, dass sich zusammengenommen als filmisches Werk eine gewisse Einzigartigkeit ergibt. In diesen Filmen werden zumeist Probleme aus dem afrikanischen Alltagsleben aufgegriffen. Somit können sich die Leute hier gut mit den Charakteren und der Story identifizieren und beflissentlich über die Umsetzung hinwegsehen.

Abuja ist die neue aus dem Boden gestampfte Hauptstadt Nigerias. Eine ausdruckslose Stadt, die uns keine Geschichten erzählen kann und mit ihrem Glanz protzen will. Zumindest ist sie sehr sauber und die Straßen sind so breit das es noch nicht viele Staus gibt. Überall Banken, Bürotürme, teure Autos und geschäftiges Treiben, hier werden in einem der korruptesten Länder Afrikas die Ölgeschäfte abgewickelt. Eine Mittelschicht unter der Bevölkerung existiert quasi nicht. Die Immobilienpreise sind so hoch, dass fast ausschließlich gutbetuchte Geschäftsleute und ihre Bediensteten in der Stadt leben. Die Stadt wurde von einem Japaner auf dem Reißbrett entworfen. Julius Berger eine deutsche Baufirma erbaute den Großteil der bisher etwa zur Hälfte verwirklichten Pläne.

Abuja

Wir sind nach Abuja gekommen um ein Visum für Benin zu beantragen. Wir campen auf dem Gelände des Sheraton Hotels. Sehr grün, kostenlos, mit heißer Dusche, ohne wissen der Beweggründe dieses Luxushotels uns in ihrem Garten campen zu lassen. Wir sind Tourists und die gut zahlenden Gäste Business. In gewisser Weise sind wir zwischen all den Schlipsträgern die Exoten und sorgen mit unserer Anwesenheit für ein bunteres Ambiente. Hier machen wir Kino und begegnen drei andere durch Afrika reisende Touristen, den ersten seit Monaten.


Geldwechsler in Abuja

Unigelände

Die letzten drei Tage wohnen wir auf dem Gelände einer Uni bei Bobby. Diese private Universität wird vom Ausland finanziert, ist sehr gut ausgestattet und bietet über Stipendien rund 200 Studenten aus ganz Afrika die Möglichkeit hier zu studieren. Hier können wir unseren Filmfundus auffrischen und sind nun für die nächsten Kinoabende gut gerüstet. Bobby stammt aus Lagos, arbeitet nun hier als IT-Administrator und ist ein echter Nerd wenn es um Computer oder Politik geht. Er hat Jura studiert, ist aber Aufgrund seiner Computerleidenschaft und der Korruption in der Justiz, nicht auf diesem Gebiet tätig. Außerdem ist er ein wandelndes Politlexikon und erzählt uns viel über politische Zusammenhänge in Nigeria. Seit einigen Monaten hat Nigeria einen neuen Präsidenten mit dem verheißungsvollen Namen „Goodluck“. Die Bevölkerung setzt momentan viel Hoffnung in seine Politik, so hat er eine schon todgeglaubte Antikorruptionsbehörde wiederbelebt. Der zuvor unter Todesandrohungen aus dem Land geflohene Leiter ist nun zurückgekehrt.


Da unsere Autobatterie die Belastung durchs Kino (der Ton läuft über dieselbe) nicht gut verkraftet hat, gehört es zum allmorgendlichen Programm mindestens sechs Leute zu finden und zu motivieren uns dabei zu helfen unseren Bus anzuschieben. Dies ist in entlegenen Regionen nicht immer leicht und nimmt teils einige Stunden in Anspruch. Frühsport mal anders. Wir fahren auf der Suche nach den Bussco Stromschnellen des Niger weiter in Richtung Westen. An diesen Stromschnellen enden im Roman Wassermusik die Abenteuer von Mungo Park und Ned Reis. Im Roman beschrieben stellen sich hier einige Felsen, ein natürliches Tor bildend, dem Lauf dieses Stromes entgegen und reißend nimmt er seinen Weg durch eine enge Schlucht. Allerdings bekommen wir einen friedlich daliegenden See zu Gesicht. Der Niger wird mittlerweile an dieser Stelle aufgestaut. So liegt nur eine Ahnung der wilden Wasser unter der sanften Oberfläche des entstandenen Stausees. Hier befindet sich auch das größte Wasserkraftwerk des Landes. Allerdings reicht die erzeugte Elektroenergie bei weitem nicht aus um das Land zu versorgen. Die meisten Dörfer, selbst in direkter Nähe zum Kraftwerk, sind nicht an die Versorgung angeschlossen und in den großen Städten gibt es täglich Stromausfälle. Das ständige Knattern von Generatoren ist ein bleibender Eindruck aus Nigeria.

Wir bleiben einige Tage in einem Dorf am Ufer des Niger. Als wir auf einer Wanderung durch ein Fischerdorf kommen, rennen die Kinder schreiend vor uns davon. Das erleben wir des Öfteren, sie haben noch nie einen Weißen gesehen und wir könnten genauso gut grün sein. Nach einiger Zeit trauen sich die Mutigsten unter ihnen in unsere Nähe. Guido reicht dem Nächsten seine Hand und etwas zögerlich wird sie angefasst. Die anderen Kinder beobachten dies aus sicherer Entfernung, als dem kleinen Held nichts passiert wollen plötzlich alle mal anfassen und wir können uns dem Ansturm der Kinder kaum erwehren.


Wir schauen den Fischern zu, baden, wandern, machen Kino…


Ein Klassenzimmer

Die Fernverkehrsstraße A1 ist eine der Hauptverkehrswege Nigerias. Sie verbindet Lagos mit Ibadan der flächenmäßig größten Stadt Nigerias und führt weiter in Richtung Hauptstadt. Was sich dort auf einigen Abschnitten abspielt ist selbst für afrikanische Verkehrsbedingungen erwähnenswert. Durch die Schlaglöcher, welche an kleine Bombenkrater erinnern und über Reste von Asphalt, quält sich eine Karawane von überladenen, altersschwachen LKWs. Etwa alle 500 Meter blockiert ein liegen gebliebener oder umgefallener LKW die Strasse. Da der Platz auf der Strasse nicht ausreicht wird wo Platz ist auch daneben gefahren. Es gibt scheinbar keine Regel auf welcher Seite, so kommt es immer wieder zu haarsträubenden Spurwechseln. Es herrscht das Recht des Größeren, als kleineres Fahrzeug muss man bei Gegenverkehr auch auf der eigenen Spur zusehen einen Platz zum ausweichen zu finden. Diese Praxis fordert ihren Tribut und so sieht man immer wieder Autowracks am Wegesrand. Für zehn Kilometer auf denen unsere Lungen nach Frischluft schreien, brauchen wir zwei Stunden und altern in etwa zwei Jahre. Es ist geplant diese Strasse zu einer Autobahn auszubauen, und man staune einige Kilometer sind bereits fertig gestellt.



In Ibadan wohnen wir bei Andrews Familie. Er arbeitet als Journalist und Photograph. Wir schauen uns die Uni Ibadas an. Auch hier Fußball. Die Philosophen spielen gegen die Theaterwissenschaftler. Die Jungs von den Theaterwissenschaften werden lautstark mit einer Drumperformance und Tänzen von ihren Kommilitonen angefeuert. Nützt alles nichts die Philosophen haben die besseren Argumente auf dem Spielfeld und gewinnen. Kamu führt uns durch die Fakultät der Verlierer und durch das älteste Theaterhaus Afrikas, er arbeitet dort als Schauspieler und Musiker. Leider ist in den nächsten Tagen keine Vorstellung angesetzt.

Da unser Visum ausläuft müssen wir in Richtung Benin aufbrechen. Auf den letzten fünf Kilometern vor der Grenze müssen wir über zwanzig Checkpoints passieren. Ob Uniformiert oder nicht, jeder scheint hier seinen persönlichen Checkpoint aufgebaut zu haben. Ein paar alte Fässer an den Straßenrand gestellt, ein Nagelbrett dazwischen gelegt und fertig ist der Checkpoint. Immer wieder müssen wir unsere Personalien in ominöse Bücher eintragen. Auf Nachfrage welchen Sinn Checkpoints im Abstand von 50 Metern machen, wird uns erklärt, dass es in Nigeria viele Behörden gäbe und diese untereinander leider noch nicht vernetzt wären. Außerdem gäbe es viele Umfahrungen weshalb jede Behörde mehrere Checkpoints auf dem Weg betreibe. Uns lässt man nach einem freundlichen Smalltalk und der Frage danach, was wir ihnen als Geschenk mitgebracht haben, welche wir mit „Unser Lächeln“ beantworten, meist problemlos passieren. Viele Einheimische bezahlen allerdings ungefragt an jedem Posten einen Obolus um Zeit zu sparen, das erinnert schon an Wegelagerei. Um die Sache zu beschleunigen durchfahren wir einige Checkpoints an denen gerade keine Nagelbretter liegen und die Wegelagerer augenscheinlich keine Waffen tragen.

Irgendwann werden wir von einem Posten nach unseren Impfpässen gefragt, diese sind seiner Ansicht nach aufgrund eines fehlenden Stempels ungültig, weshalb er uns für zehn Tage in Quarantäne schicken müsse. Wir versuchen ihm zu erklären, dass in den Impfpässen alles seine Richtigkeit hat, woraufhin er sich in seiner Autorität verletzt fühlt und sich seine Miene weiter verfinstert. Nach einer weiteren halbstündigen Diskussion werden wir zum benachbarten Checkpoint gerufen. Wir nehmen uns einfach unsere Impfpässe vom Tisch und wollen gehen, dies lässt ihn vollends explodieren und er meint wir würden nun angeklagt werden. Er telefoniert und setzt ein Protokoll mit unseren Vergehen auf. Immer locker und freundlich bleiben ist die Devise. Irgendwann können wir ihn etwas beruhigen und seine Mitarbeiterin fordert uns auf eine Entschuldigung auszusprechen. Wir wollen nur weiter und entschuldigen uns artig bei diesem cholerischen Zeitgenossen. Am eigentlichen Grenzübergang ist keine Menschenseele, nur ein Schild heißt uns in Benin willkommen.

Rückblickend hatten wir nicht das Gefühl, dass all die Horrorstorys die man über Nigeria hört gerechtfertigt sind. Sicherlich gibt es auch momentan Ausschreitungen zwischen Moslems und Christen, wobei es eher um Landrechte geht und die Religionen nur als Aufhänger herhalten. Ebenso kämpfen die Bewohner im Nigerdelta für mehr Teilhabe an den Gewinnen des dort geförderten Öls, auch mit den Mittel der Geiselnahme. Allerdings sind dies regional begrenzte Konflikte in diesem großen Land, in dem ein Fünftel aller Afrikaner lebt. Übrigens ist die berüchtigte nigerianische Computerkriminalität aufgrund von Maßnahmen der Regierung größtenteils in die Nachbarländer abgewandert. Wir haben die Zeit in Nigeria sehr genossen, nicht eine Aggression von den Leuten erfahren, es gibt tolle Landschaften zu entdecken, und von der „Touriabzocke“ bleibt man verschont, wie in anderen Ländern in denen quasi kein Tourismus existiert.