4. August 2010

Kamerun

Kickerkino in Kamerun

Der Wunsch Westafrika mit einem Kleinbus zu bereisen und dies in Verbindung mit einem Projekt, ließ die Idee entstehen, in Dörfern ohne Stromanschluss die WM auf Großbildleinwand zu übertragen. Als Land bot sich das fußballbegeisterte Kamerun an. Per Satellit, Videoprojektor und Generator sollen die Spiele live auf Leinwand projiziert werden.

Kurz vor WM-Start erreichen wir die Hauptstadt Kameruns Yaounde, mit im Gepäck einen Videobeamer. Das restliche Equiptment soll vor Ort besorgt werden. Durch die überfüllten. Strassen probieren wir unseren Weg durch das unübersichtliche urbane Chaos zu bestreiten. Von Montag bis Freitag steht Yauonde regelmäßig zur Rushhour vor einem Verkehrskollaps. Zwischen den sieben Hügeln der Stadt entflammt ein regelrechter Kampf um die Vorfahrt auf den überlasteten Straßen. Am besten meistert man hier seine Wege mit dem Motorrad. Taxifahrer, von Männern gezogene Holzkarren und andere Verkehrsteilnehmer stehen eher eng aneinander gedrängt auf den Straßen, als das sie sich bewegen könnten. Der Straßenrand ist gesäumt mit zahlreichen Straßenhändlern, die ihre Waren auf am Boden ausgebreiteten Tüchern und kleinen Tischen feilbieten. Auf einem unüberschaubaren Markt, auf dem selbst kurze, verrottete Kabelreste einen Käufer finden, machen wir uns auf die Suche nach einem Adapter, als plötzlich große Aufregung ausbricht. Der Himmel verdunkelt sich zusehends und in einem wilden Durcheinander werden die Waren vor dem bevorstehenden Regen in Sicherheit gebracht. Riesige Wassermassen prasseln auf uns herab. Während sich einige Strassen in Kanäle verwandeln und sich tiefe Wasserlöcher bilden, suchen wir Zuflucht in unserem Auto. Kurze Zeit später scheint wieder die Sonne und die unterbrochene Geschäftigkeit blüht neu auf.

Nach einem anstrengenden Einkaufstag ist alles zusammen getragen: Stromkabel von einen fliegenden Straßenhändler, eine Musikbox aus dem nigeriansichen Viertel, Generator und Sat-Anlange aus einem kleinen Laden in der Nähe des Omnisport Stadions.

Nur die Leinwandsuche gestaltet sich unerwartet kompliziert. Scheinbar ist es unmöglich weißes Material in gewünschter Größe preiswert zu erstehen. Auf der Suche nach weiteren Geschäften passieren wie einen LKW, der gerade entladen wird. Die Arbeiter wuchten sich schwere Zementsäcke auf ihre Schultern und tragen sie in einen Lagerraum. Daneben liegt verlockend die große, weiße Abdeckplane des Trucks auf dem Boden. Obwohl aus mehreren kleinen Stücken zusammengenäht, macht sie einen soliden Eindruck. Glücklicherweise lässt sich der Spediteur davon überzeugen sie uns zu verkaufen.

Bei Dunkelheit kann die Technik pünktlich zum ersten Abendspiel ausprobiert werden. Neben kleineren Fehlkäufen, wie den chinesischen Verlängerungskabeln der Marke “Teng Peng“, die sich bei Gebrauch stark erhitzen und dann ihrem Namen alle Ehre machend mit einem Peng den Geist aufgeben, scheint alles zu funktionieren. 15 Minuten lang, dann stellt der Kanal die gebührenfreie Übertragung des Spiels ein. Ein Umtausch der Satellitenanlage in eine andere Pay TV-taugliche ist unumgänglich.


Der eigentlich recht sympathische Verkäufer hat darauf erwartungsgemäß keine Lust. Vor seinem Laden verfolgt eine Menschenansammlung auf einem kleinen Fernseher konzentriert ein Spiel. Er meint, dass er selber nur angestellt sei und einen Umtausch nicht entscheiden könne. Es ist ihm anzusehen, dass er am liebsten wieder zum Fernseher zurückkehren würde, um den weiteren Spielverlauf nicht zu verpassen. Nach zähem Feilschen bekommen wir die Hälfte des Geldes und den Rest in Sachwerten erstattet. Bei Kanal Plus gibt es eine Satellitenanlage mit Prepaid Karte zur WM im Angebot. Etwa 60 Euro kostet die gesamte Anlage mit Karte für einen Monat. Beim Ausprobieren scheint diese ebenfalls nicht in gewünschter Weise zu funktionieren. Der Grund hierfür ist, wie sich später herausstellen soll, der von den zahlreichen afrikanischen Kinder als Spielzeug gebrauchte und nun defekte Satellitenfinder und nicht die Anlage an sich.

Im Glauben ein nicht funktionsfähiges Gerät erstanden zu haben, wird dem technischen Dienst von Kanal Plus ein Besuch abgestattet. Unsere Reklamation kommt offensichtlich unpassend, denn gleich wird das erste WM-Spiel Kameruns gegen Japan angepfiffen. Ein kurzer Check der Komponenten ergibt ihre Funktionsfähigkeit. Unser Wunsch, diese in unserem Auto vor dem Laden zu testen, stößt auf Ablehnung. Die Lage ändert sich nachdem wir unser Projekt schildern. Plötzlich hilft uns zuvorkommend die gesamte Belegschaft die Technik zu montieren. Kurz vor Beginn des Spiels leeren sich die Straßen merklich. Auf der zuvor stark befahrenen Straße ist kaum noch ein Auto oder Motorrad zu sehen. Der Fastfood Imbiss hat soeben geschlossen. Die Stände, an denen man sonst zu dieser Zeit telefonieren oder einzelne Zigaretten kaufen kann, sind verlassen. Da unsere Karte noch immer nicht frei geschaltet ist, werden wir in den Laden gebeten, um das Spiel mit anzusehen. Vor einem Großbildschirm drängt sich die Crew des Technikservice und verfolgt den Spielverlauf. Als alle herum stehenden Fernsehgeräte und Kisten besetzt sind, kommen unsere Campingstühle sehr gelegen.

Gleich am nächsten Tag brechen wir auf. Im ersten Dorf angekommen, begrüßt uns der Chef des Dorfes Emmanuel und seine Familie freudig mit Palmwein und kleineren Snacks. Die Wände seines Zimmers sind mit Familienportraits gesäumt. Wir erfahren, dass zwei seiner Brüder gestorben sind, einer erst kürzlich. Beide hatten gut bezahlte Posten in der staatlichen Verwaltung und beim Militär. Der Verlust bedeutet wohl auch einen finanziellen Einschnitt, da in Kamerun die Familie als Sozialsystem fungiert. Gut verdienende Familienmitglieder unterstützen die Verwandten. Im Anschluss widmen wir uns dem Aufbau der Technik. Erstaunlich schnell ist alles einsatzbereit und pünktlich zum Anpfiff sind wir fertig. Fast zeitgleich beginnt es zu regnen. Eine am Auto befestigte Plane bietet Schutz für einen Teil der Zuschauer. Zusammen mit etwa 20 dem Regen trotzenden Fussballfans schauen wir uns das Abendspiel und anschließend einen Film an. Trotz Plane durchnässt und ziemlich enttäuscht, stellen wir den Strom ab und packen das Equipment zusammen. Das Ganze hatten wir uns doch etwas anders vorgestellt. Doch wer rechnet schon mit der Regenzeit? Zu allen Überfluss werden wir von kleinen, fiesen, Blut saugenden Fliegen namens Mutmut angefallen. Binnen eines Tages sind alle unbedeckten Hautpartien mit Stichen übersät. Zum Frühstück bekommen wir vom Dorfchef Palmwein gereicht, auch er schenkt sich ordentlich ein. Wir haben es hier offensichtlich mit einem wirklichen Liebhaber dieses Getränkes zu tun. Am nächsten Abend regnet es wieder, so dass auch der zweite Kinoabend ins Wasser fällt.


Als wir am Morgen ins nächste Dorf „Omuk 1“ aufbrechen, bekommen wir zum Abschied verschiedene Früchte gereicht. „Omuk 1“ unterscheidet sich von den beiden Nachbardörfern nur durch die Zahl hinter dem Ortsnamen. Wie wir feststellen ist das Dorf ans Stromnetz angeschlossen und das Licht wird aus Angst vor Kabeldieben nicht einmal nachts ausgeschaltet. Wir bleiben trotzdem. Die Leute sind nett, das Ambiente ist ansprechend und die Örtlichkeit vor der wir unser Kino aufbauen können einfach ideal: eine Dorfkneipe mit großer überdachter Terrasse, vielen Bänken und gekühlten Getränken. Ein Dorfbewohner namens Gilbert erklärt sich sofort bereit beim Leinwandaufbau zu helfen. Drei Bambusstangen werden in den Boden eingebettet und die Leinwand daran mit Seilen bespannt. Drei Nächte übertragen wir hier die Weltmeisterschaft und zeigen jeweils im Anschluss Spielfilme. Als am letzten Abend Kamerun gegen Serbien spielt, ist die Wiese vor sowie hinter der Leinwand voll besetzt. Aus sieben umliegenden Dörfern sind ganze Familien angereist um ihre Nationalmannschaft siegen zu sehen. Als das erste Tor für Kamerun fällt, springen alle auf. Minutenlang wird getanzt und gejubelt. Das Ausgleichstor bremst die Euphorie merklich und als beim Schlusspfiff klar ist, dass Kamerun rausfliegt, liegt die Stimmung am Boden. Anstatt einer Siegesfeier auf einen Dorf in Kamerun miterleben zu dürfen, löst sich die Veranstaltung rasch auf. Im Schein der Petroleumlampe genießen wir fast allein gelassen noch ein paar Bier.

Leinwandaufbau


Eine weitere Station des WM-Kinos ist ein Kinderheim im elektrifizierten Dorf Ekite 2 in der Nähe von Edea. Dort befindet sich ein großes Wasserkraftwerk welches versucht, annähernd das ganze Land mit Elektrizität zu versorgen. Die engagierte Leiterin Kristin nahm nach dem Tod von Freunden deren Kinder auf. Daraus wurde ein richtiges Waisenhaus. Hier versorgt sie ohne staatliche Hilfe 15 Kinder, 15 weitere sind bei Familien in der Umgebung untergebracht. Gleich die erste Vorstellung ist gut besucht. Neben den Kindern kommen auch jede Menge Leute aus der Nachbarschaft, um sich das Spiel Brasilien Elfenbeinküste anzuschauen. Auf in mehreren Reihen aufgestellten Stühlen sitzen vorne die Kids und freuen sich über jede Torchance, egal von welchem Team. Weiter hinten sitzen und stehen die Erwachsenen. Ein sichtlich besoffener Zuschauer grölt das ganze Spiel durch. Das scheint hier aber niemanden zu stören, man spendiert ihm nichtsdestotrotz weiter Palmwein. Nach dem Spiel erklärt uns der anstrengende Zeitgenosse umständlich, dass wir jetzt in Afrika sind und er Pornos auf der Leinwand sehen will. Wir zeigen stattdessen Wallce und Gromit sowie russische Zeichentrickfilme. Am nächsten Morgen steht er wieder auf der Matte mit einer Plastikkaraffe Palmwein in der Hand und hofft auf die nächste Spielübertragung. Idioten gibt es halt überall und erfreulicherweise ist er die Ausnahme. Im Allgemeinen sind die Menschen in Kamerun sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Während den Spielübertragungen auf den Dörfern wird mehr Brunnenwasser als Alkohol konsumiert. Leckeres Essen, ein komfortables Zimmer und eine Autoreparatur lassen uns in Ekite 2 mehrere Tage verweilen. Der Abschied fällt schwer: viele kleine Kids mit großen Augen wollen wissen, wann wir wiederkommen werden.

Kristin

Das Kinderheim in Ekite




Nun bauen wir die Leinwand in Mumb1 auf. Es ist ein Nachbardorf von Omuk 1, so dass wir viele bekannte Gesichter wieder sehen. Bisher wurden die Häuser der Bewohner nicht ans Stromnetz angeschlossen. Doch das soll sich nun ändern. Eine chinesische Firma ist vor Ort und verlegt neue Leitungen. Täglich schaffen die kamerunischen Arbeiter es, einen neuen Strommasten aufzustellen. Dies geschieht zu recht ungewöhnlichen Arbeitszeiten: einen Tag nach Einbruch der Dunkelheit, wiederum am nächsten Tag in der Mittagshitze. Verschiedene Probleme werden mehr oder weniger effizient gemeistert. Mal brauchen sie eine Stunde, um mit einem LKW einen schlammigen Weg hinaufzukommen. Ein anderes Mal bricht ein Truck in eine Holzbrücke ein. Dabei verlieren sie einen Transformator und ramponieren die Brücke. Trotz dieser Unwegsamkeiten und einer gewissen Portion Dilettantismus geht die Arbeit voran. Der Dorfchef Joseph schaut sich das alles interessiert mit einer Gelassenheit an, wie man sie wohl nur in Afrika antrifft. Bereits mehr als 20 Jahre sind seit dem ersten Versprechen der Regierung, das Dorf an die Stromversorgung anzuschließen, vergangen. Diesmal ist er zuversichtlich, dass etwas daraus wird. Zur WM-Übertragung müssen wir vorerst noch den Generator einsetzen. Zur Halbzeit werden kulinarische Köstlichkeiten serviert: Gemüse, Reis und Fleisch. Die Frage welche Art von Fleisch wir gerade essen, wird stolz mit Affen beantwortet, selbst gejagt wie sich versteht. Zwei Tage später werden wir selbst Zeuge von den Jagdkünsten des Dorfchefs. Er nimmt uns mit auf seine angrenzende “Buschfarm“. Was auf uns mehr wie Busch als Farm wirkt, ist seine Lebensgrundlage als Subsistenzwirtschaftler: landwirtschaftliche Kultivierungen und Jagdgründe in Einem.


Bushmeat


Mit einem antik wirkenden Gewehr und recycelten Schrotpatronen bewaffnet machen wir uns auf den Weg. Wir durchqueren einen Fluss und folgen einem schmalen Pfad. Über einen morschen Brettersteg geht es durch geflutetes Dschungelterrain bis wir selber im knietiefen Wasser waten. Es folgt ein schlammiger Dschungeltreck. Zwischendurch sind auf kleineren Lichtungen Mais-, Kürbis-, Kakao-, und Ölpalmplantagen angelegt. Er zeigt selbst gestellte Tierfallen am Wegesrand und erklärt tropische Heilpflanzen und Fruchtbäume. Jeder von uns pflanzt einen Colanussbaum. Joseph meint nun hätten wir einen Grund wiederzukommen. Nach einer längeren Wanderung erblicken wir, in einer Baumkrone herum springend, eine Art Buscheichhörnchen. Joseph entsichert sein Gewehr und legt an. Als beim Abdrücken nichts passiert, wechselt er die Patrone und untersucht andere mögliche Problemquellen. Zwischenzeitlich ist die anvisierte Beute längst verschwunden. Leicht verärgert hängt er sich sein Gewehr wieder über die Schulter. Zu Hause angekommen wird das Gewehr in seine Einzelteile zerlegt. Mit einer Feile wird eine rostige Feder gekürzt, zurechtgebogen und wieder eingesetzt. Die Jagd kann weiter gehen, unsere Reise ebenfalls.

Eichhörnchen noch mal Schwein gehabt

Gilbert beim Palmöl kochen

Zu Hause bei Gilbert

Aufgrund der stärker werdenden Regenfälle entschließen wir uns, direkt zur nigerianischen Grenze weiterzufahren und somit das WM-Kino-Projekt in Kamerun zu verkürzen. Die Strasse zwischen Mamfe und der nigerianischen Grenze ist unter Reisenden berühmt berüchtigt für seinen katastrophalen Zustand. Speziell in der Regenzeit kann das Passieren dieser 100 Kilometer von einigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen in Anspruch nehmen. Wir haben jedoch mal wieder Glück. Chinesen haben die Strecke ausgebessert und die Teerung ist geplant, wie die Bewohner des grenznahen Dorfes Nasaragati berichten. Sie sind Touristen gewöhnt. In der Vergangenheit begleiteten sie Overländer mit Schippen und Spaten zur nächsten Stadt und haben diese kollektiv aus den Schlammlöchern befreit. Heute freuen sie sich auf die neue Infrastruktur. Neben der neuen Strasse soll ihr Dorf ebenfalls ans Stromnetz angeschlossen werden. Ausnahmsweise durch eine spanische Firma. Im zu erwartenden steigenden Verkehrsaufkommen sehen sie kein Problem. Lärm scheint in Afrika ohnehin niemanden zu stören. Sie träumen davon ihre angepflanzten Ananas auf die Märkten der umliegenden Städte zu bringen und sich einen eigenen Fernseher leisten zu können. Der Saft dafür soll aus der eigenen Steckdose kommen.

Kino in Nasaragati


an der transnationalen Strasse Mamfe-Ekok





Kamerun sucht den Superstar...


Gabon










Fahrt ins Grüne


Kongo Brazzaville

















Sandpiste

DR Kongo 2010






Strasse nach Matadi




3. August 2010

Angola


Um zwei Uhr erreichen wir den angolanischen Grenzposten, frohen Mutes diesen noch am selben Tage zu passieren. Wir haben es eilig. Kristin möchte ihren Flug in Luanda bekommen. Vor dem Immigrationsschalter befindet sich eine Menschentraube. Es wird lautstark debattiert und jeder versucht irgendwie an das kleine Fenster zu kommen, um dem Grenzbeamten seine Papiere zukommen zu lassen. Als uns dies endlich gelingt schüttelt der griesgrämige Grenzbeamte im Angesicht unserer Papiere nur mit dem Kopf. Da wir keine gemeinsame Sprache sprechen dauert es eine Weile bis klar wird was sein Problem ist, er möchte unsere Einladung sehen. Ohne diese dürften wir auf gar keinen Fall passieren. Wir versuchen ihm klar zu machen, dass wir diese auf der angolanischen Botschaft abgegeben haben und wir ohne diese ohnehin kein Visum bekommen hätten, welches wir ja im Pass haben. Das interessiert ihn herzlich wenig. Andere Passierwillige geben uns den Tipp besser nicht zu lange mit dem Grenzbeamten zu diskutieren, da es gut passieren könne, dass dieser dann genervt unsere Visa streicht und für ungültig erklären könnte. Wir müssen also irgendwie unser Einladungsschreiben besorgen. Glücklicherweise reicht eine Kopie aus und diese könnte man aus Deutschland übers Internet bekommen. Nur wo gibt es hier Internet, in Namibia? Dort sind wir aber schon ausgereist. Egal Kristin und Guido gehen kurzerhand im Menschenstrom vorbei an den namibischen Grenzposten zurück nach Namibia. Dort gibt es glücklicherweise tatsächlich Internet und ein Drucker lässt sich auch auftreiben.

Auf dem Rückweg rennt eine Frau blitzschnell an uns vorbei, hält einen Mann fest und brüllt ihn an „Give it her back! Give it her back!....“. Augenblicklich bildet sich eine Menschenansammlung um uns herum. Kristin wundert sich darüber, dass der Mann den gleichen Fotoapparat in den Händen hält, den auch sie benutzt. Es dauert einen Moment ehe wir mitbekommen, dass dies kein Zufall ist. Mittlerweile schreien einige Leute auf den Langfinger ein und nach einigen Handgreiflichkeiten gibt er mit einer entschuldigenden Geste Kristins Eigentum zurück und darf seiner Wege ziehen. Wir haben davon gehört, dass ein gefasster Dieb oftmals, sofort an Ort und Stelle durch Prügel oder Schlimmeres abgestrafft wird. Dieser Akt von Selbstjustiz bleibt ihm und damit uns glücklicherweise erspart. Wir bedanken uns bei unserer taffen Retterin. Der bisher einzige Versuch eines Taschendiebstahls auf unserer Reise durch Afrika, das wäre wohl auch in Europa ein guter Schnitt.

Wir hoffen nun ohne gültige Papiere wiederum zurück durch den namibischen Grenzposten zu kommen. Auch das geht gut und wir übergeben dem angolanischen Grenzbeamten unser Einladungsschreiben. Er studiert es mit einer bemerkenswerten Ausdauer und stellt nach geraumer Zeit befriedigt fest, dass Guidos Passnummer auf dem Schreiben falsch eingetragen ist. Wir schaffen es ihn, mit Hilfe eines seiner verständlicheren Kollegen, davon zu überzeugen, dass dies an einem Übertragungsfehler im Internet liegen könnte. Damit gibt er sich zufrieden, allerdings vermisst er nun den namibischen Ausreisestempel in Hetais und Guidos Pässen, denn diese sind in ihren in Namibia benutzten Zweitpässen. Von anderen Ausreisenden wandern immer wieder Geldscheine zu den Grenzbeamten und wir sind uns nicht mehr sicher, ob all diese Schikanen nur dem Zweck dienen von uns etwas Bakschisch zu erhalten. Nun gut. Wir müssen zurück zum namibischen Grenzposten um dort weitere Ausreisestempel zu erbeten. Nach einer weiteren Stunde Diskussionen, nun mit den namibischen Grenzbeamten ist auch die Sache mit den Stempeln geklärt und wir bekommen tatsächlich den angolanischen Einreisestempel in die Pässe gedrückt. Nun heißt es nur noch den Papierkram fürs Auto erledigen.

Mittlerweile ist es Abend geworden, der für die Autopapiere Verantwortliche macht gerade Feierabend und wir nächtigen mit einigen Truckfahrern denen es bislang ebenfalls nicht gelungen ist, ihren Papierkram zu erledigen auf dem Grenzposten. Ich möchte mit einer Beschreibung der Erledigung unserer Autopapiere nicht langweilen. Nach zwei weiteren morgendlichen Stunden können wir einsteigen, der Schlagbaum öffnet sich und wir verlassen diesen Ort.
Die folgenden drei Tage könnte man mit „Rallye Luanda“ umschreiben. Auf teils unbefestigten Gelände, das Wort Straße oder Weg wäre nicht zutreffend, werden wir ordentlich durchgeschüttelt und bewegen uns durch wunderschöne, seichte, immer grüner werdende Berge. Als wir im Sand stecken bleiben werden wir, wie selbstverständlich, sofort von namibischen Truckfahrern an langen Seilen wieder herausgezogen. Die „Solidargemeinschaft - Leidtragende angolanischer Verkehrswege“ funktioniert. Als wir die Atlantikküste erreichen erfahren wir, dass es am Meer entlang eine Abkürzung von 300 Kilometern gibt. Hurra. Diese nehmen wir und haben so die Zeit in einem Fischerdorf Halt zu machen, ein nötiges Bad zu nehmen, Muscheln zu sammeln und über den ersten wirklichen Markt seit langem zu schlendern. In Südafrika und Namibia haben Supermärkte diese fast vollständig verdrängt. Viele Angolanern begrüßen uns freundlich und wollen ein Plausch mit uns halten. Anders als in Südafrika oder auch in Namibia scheint es zwischen der hier verschwindend kleinen weißen Minderheit und den Schwarzen keine Mauer des Rassismus zu geben. Wir kommen nun gut voran und verbringen auch den Nachmittag und Abend am Meer.










Luanda begrüßt uns mit wolkenbruchartigem Regen. Immer wieder überraschen die Extreme der Natur auf diesem Kontinent, seit zwei Monaten kein Tropfen und nun dieser Überfluss. Einige Straßen stehen unter Wasser und das Verkehrschaos ist perfekt. Wir schaffen es trotzdem pünktlich am Flughafen zu sein. Nach drei Wochen der Ungewissheit, ob wir es denn pünktlich schaffen würden ist Kristin nun sichtlich erleichtert. Die Erlebnisse, Eindrücke und damit verbundenen Gefühlsschwankungen bleiben wohl noch lange in Erinnerung und haben uns zusammengeschweißt, so fällt der Abschied nicht leicht. Die lebendige und moderne Stadt, direkt am Ozean gelegen ist durch den Ölboom und den Diamantenreichtum Angolas, nach dem 2002 beendeten Bürgerkrieg zwischen der MPLA und der Unita zu einer sehr teuren Wohlstandsoase geworden und versinkt täglich auch ohne Regen im Verkehrschaos. Eine weit ins Meer reichende Halbinsel bietet mit ihren Stränden Erholung und Ruhe. Die können wir auch gebrauchen. Um Visa für die zwei kongolesischen Staaten und Gabun zu besorgen tingeln wir durch den Dauerstau von Botschaft zu Botschaft. Erfindungsreich, welche Hürden sich die korrupten Beamten dabei für uns einfallen lassen. Zum Beispiel müssen wir einen von der deutschen Botschaft beglaubigten Nachweis erbringen, welcher uns als Touristen ausweißt. Nun ist es also amtlich wir sind Touristen!


Wir wohnen in einer Gegend um die der neue Wohlstand bisher einen Bogen gemacht hat. Wasser und Strom gibt es nicht immer und geduscht wird aus der Schüssel. Hier leben viele Immigranten aus anderen afrikanischen Ländern; ein buntes Durcheinander. Unser sehr zuvorkommender Gastgeber heißt Felix. In Luanda aufgewachsen hat er die rasanten Veränderungen der Stadt nach dem Bürgerkrieg miterlebt. Er ist gerade dabei sich seine eigene Bleibe einzurichten. Aufgrund der exorbitanten Mietpreise ist diese sehr klein und so weiß er nicht so recht wie er seine Sachen in dem Zimmerchen unterbringen soll. Da das Zimmer ca. vier Meter Deckenhöhe hat, schlagen wir ihm ein Hochbett vor. Diese Variante einer Schlafstätte ist hier gänzlich unbekannt. Erst etwas skeptisch, vor allem wegen seiner etwaigen zukünftigen Freundin die sich nicht in diese Höhen wagen könnte, können wir ihn am Ende davon überzeugen, dass so ein Bett stabil sei und Aktivitäten in dieser Höhe eher noch spannender wären. Mit Felix und seinem Bruder sind wir viel in der Stadt unterwegs. Immer und überall treffen die Beiden Freunde, Bekannte oder Verwandte und ein kurzer Plausch ist obligatorisch. Irgendwann fragt uns Felix ob wir nicht Lust hätten in einer Fernsehshow über unsere Reise zu berichten. Der Moderator wäre ein Freund von ihm und würde uns gern einladen. Am Ende sind wir nicht wirklich überzeugt von dieser Idee und lehnen die Einladung ab. Wir besuchen Felix altes Wohnviertel und landen dort auf dem Geburtstag einer Freundin, tauchen ins Nachtleben ein oder genießen am Strand einfach nur im Sand zu liegen und dem Meer zuzuhören.



Auf unserem Weg aus der Stadt Richtung Norden bietet sich uns im Gegensatz zum blendenden Zentrum ein Bild bitterster Armut. Hier liegen die Industriegebiete, der Hafen, stinkende Ölraffinerien und soweit das Auge reicht Slams die im eigenen Müll ersticken. Über Kilometer schieben wir uns in einer Blechlawine im Schritttempo durch diese traurige Gegend. Von den Öl- und Diamantenmilliarden kommt bei den Menschen hier wie auch auf dem Land nur wenig an. Sechzig Prozent der Angolaner haben keinen Zugang zu Trinkwasser und ausreichend medizinischer Versorgung. Auf dem Land können viele Bauern ihre Felder nicht bestellen weil immer noch Landmienen im Boden stecken um deren Beseitigung sich kaum gekümmert wird, viele Dörfer haben keine Stromversorgung, über ein drittel der Kinder können nicht zur Schule gehen. Wenn auch nach knapp dreißig Jahren Bürgerkrieg kein leichter Anfang zu machen ist, diese Gegensätze sind zum Himmel schreiend. Nebenbei bemerkt, der Präsident Angolas Jose Eduardo dos Santos ist einer der reichsten Männer auf diesem Planeten...

Nach 100 Kilometer Mondpiste, machen wir am Meer im absoluten Nirgendwo einige Tage Halt. Soweit das Auge reicht traumhafter Strand, einige Fischerboote, sonst nur Meeresrauschen und Sterne im Dunkel. Die Fischer leben im einige Kilometer entfernten Dorf. Jeden Morgen gehen sie auf Fischzug. Nachdem wir aufgestanden sind und das erste Bad hinter uns haben, kommen sie passend zum Frühstück mit frischen Schlemmereien zurück. Leckerster Fisch, kleine Krabben, große Krabben, Garnelen, Langusten… ein paar Jungs zeigen uns gern wie man die verschiedenen Köstlichkeiten richtig zubereitet.









Die Landschaft wird immer hügliger und entfernt zeichnet sich ein Gebirge ab. Wir fahren durch eine immer üppiger werdende Vegetation, dichter Dschungel unterbrochen von Ebenen welche Blicke bis zum Horizont eröffnen. Die Gegend ist sehr dünn besiedelt und nur selten kommen wir durch ein Dorf. Nach weiteren 100 Kilometern Erdbebensimulation auf chinesischem Straßenneuland unterwegs. Ein Anhalter den wir mitnehmen ist so begeistert von der Ebenheit der neuen Straße und dem neuen Fahrgefühl, dass er eine Stunde lang alle fünf Minuten euphorisch anfängt die Straße zu loben und dabei gefährlich mit den Armen beschreibt wie es vorher war.