10. November 2008

DR Kongo (Goma)

Der Versuch, die Grenze in die “Demokratische Republik Kongo (DRK)“ zu übertreten, stellt sich als Zeitintensiver als erhofft heraus. Erst erleichtert uns der “Vorposten“ am Schlagbaum unserer Pässe und dann werden wir direkt in die Visaabteilung geleitet. Hier kommen wir mit den für Visaangelegenheiten verantwortlichen Uniformierten ins Gespräch. Eine attraktiv aussehende Beamtin erzählt uns von ihren Kopfschmerzen und “familiären“ Problemen. Ein Visa können wir gerade nicht bekommen, da das entsprechende Formular fehle. Das bedeutet erstmal Warten. Ihr Vorgesetzter weist uns eindringlich darauf hin, dass Fotografieren der Grenze strengstens verboten sei. Fragen bezüglich der Sicherheitslage in Goma werden kategorisch und knapp mit „no problem“ beantwortet. In einem monotonen Ton vernehmen wir dann doch noch: „Der Besuch von Goma und Nyiragongo,“ ein aktiver Vulkan „ist sicherheitstechnisch unbedenklich“, so als ob der etwas dickliche Beamte dies schon tausend mal vorher gesagt hätte.

Die Frage ist aber nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn die politische Lage im krisengeschüttelten Kongo ist gerade hier im Osten des Landes äußerst instabil. So meinen auch die Grenzer auf der ruandischen Seite, dass zur Zeit Sicherheitswarnstufe vier sei. Insgesamt gibt es fünf Stufen und die fünfte gilt als besonders unsicher. Obwohl im Januar 2008 in Goma ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den Rebellengruppen von Laurent Nkukunda mit der Regierung unterzeichnet wurde, hat das Blutvergießen kein Ende genommen. Die Ausbeutung der reichlich vorhandenen Bodenschätze wie beispielsweise Diamanten, Gold, Öl und insbesondere Coltan stellt eine lukrative Finanzierungsmöglichkeit verschiedener bewaffneter Gruppen dar. Neben versprengten Rebellengruppen kommen auch unbezahlte Regierungstruppen als Unsicherheitsfaktor hinzu. Die Soldaten überfallen oft Dörfer, nur um sich selbst zu verpflegen. Gemäß dem amerikanischen Time Magazins vom Mai 2006 wurden mindestens 3,2 Millionen US-Dollar des Acht-Millionen-Monats-Budget der kongolesischen Streitkräfte gestohlen und nicht als Sold ausgezahlt. Den Staatsausgaben für Bildung und Gesundheit könnte dies nicht passieren. Ihr Anteil beträgt nicht mehr als Null Prozent.

Nun öffnet sich wieder die Tür des Immigrationspostens. Die Formularvordrucke haben sich angefunden und gegen 35 Dollar erhalten wir unseren Kongostempel in den Pass gedrückt, so dass wir die Grenze passieren können. Auffällig ist die hohe Präsenz der verschiedensten Nichtregierungsorganisationen in den wohlhabenden Vierteln unten am Kivu-See und die hohe Präsenz der UN. Etwa 16-17000 Blauhelme und Blauturbane, der Sikk-Kollegen aus dem indischen Subkontinent, sind im Kongo stationiert, doch auch ihr Dasein erscheint fragwürdig. Medienberichte, wonach sich die UN-Soldaten am Diamantenschmuggel beteiligen und die verschiedenen Konfliktparteien mit Waffen beliefern, lassen die UN-Friedensmission in einem schlechten Licht dar stehen.

Auffallend in Goma ist, dass man fast überall auf Lava läuft. Der 14 km nördlich liegende Vulkan Nyiragongo brach im Jahre 2002 aus und zerstörte einen großen Teil Gomas. Die Holzhäuser verbrannten völlig und Steinhäuser wurden unter einer meterhohen Lavaschicht begraben. Zwar wurde ein Großteil der Stadt in den letzten sechs Jahren wieder aufgeräumt und neu gebaut, doch sieht man noch Reste der Zerstörung. Ehemalige Dachgiebel schauen aus der abgekühlten Lavaschicht heraus und in der Geschäftsstraße sieht man an einigen alten Häusern, dass die Straße früher mal drei bis vier Meter tiefer gelegen war. Die nördlichen Stadtteile sind vollständig neu auf der Lavaschicht gebaut. Hier läuft man buchstäblich auf losem Lavageröll. Auf der Hauptstraße ist es schon ein bisschen platt gewalzt, so dass man einfach gehen kann. In den Nebenstraßen ist das Vorwärtskommen schwerfälliger. Auf losen Gesteinsbrocken sackt man leicht ein, so etwa wie im losen Sand am Strand. Ständig gibt der Boden nach. Autoverkehr gibt es hier so gut wie keinen. Das scharfkantige Gestein würde die Reifen recht intensiv angehen und so ihre Lebensdauer drastisch reduzieren. In diesem Viertel sind viele Häuser, verschiedene Mauern und Verkaufsstände aus dem schwarzen Gestein errichtet.

Nachdem wir eine gute Weile in den neu gebauten Stadtteil herum schlendern, wollen wir dem frequentierten Flughafen ein Besuch abstatten. Ein Lehrer, den wir nach dem Weg fragen, begleitet uns. Ein Schleichweg führt über ein Loch im Stacheldraht zu einem Zelt der Armee. Hier werden wir nett begrüßt und erhalten gleich eine kleine Einführung in die Mentalität der kongolesischen Regierungstruppen. Wenn wir weiter wollen, sollen wir zahlen und auch sonst würden sie gerne Geld haben. In Anbetracht dessen entscheiden wir uns, den Flughafen nicht zu besuchen und das ansonsten recht nette Gespräch schnell abzubrechen, um umzukehren.


Auf dem städtischen Markt werden viele gebrauchte Textilien westlicher Herkunft angeboten. Diese stammen wohl aus Kleidersammlungen. Einheimische Textilprodukte werden dagegen nicht angeboten. Die Suche nach einer Tasse Tee endet erfolglos, so dass wir in einer Kneipe mit wirklich gekühlten Bier in authentischer Atmosphäre Vorlieb nehmen. Eine Nachfrage im Hotel nebenan nach den Zimmerpreisen wird mit zehn Dollar für einen Raum mit Doppelbett beantwortet. Eine uns augenscheinlich musternde Frau an der Rezeption erklärt uns, dass wir für eine Übernachtung jeder ein eigenes Zimmer anmieten müssten. Ob sie ihre Preiskalkulation lediglich Gewinn maximierend ausrichtet, ist relativ egal. Wir sind mittlerweile gut erschöpft, so dass wir wieder auf die nahe gelegene ruandische Seite zurückkehren.

Der Grenzübergang liegt direkt am Kivusee. Ernest Hemingway schrieb 1954, dass der Kivusee einer der schönsten, die er „je gesehen habe [ist]. Es ist unmöglich, Seen zu vergleichen, Punkt für Punkt, aber mit seinen Inseln, der zerklüfteten Umgebung und der Färbung des Wassers ist er bestimmt so schön wie der Lago Maggiore oder der Gardasee. Auf alle Fälle ist er viel schöner als der Comer See, und man kann sich darauf verlassen, dass nicht so viele Leichen darin herumschwimmen, wenigstens keine menschlichen.“ Olli muss da andere Erfahrungen machen. Gerade als er die Grenze passiert, bildet sich am Ufer eine Menschentraube. Sie beobachten wie zwei Schwimmer einen Toten aus dem Wasser ziehen. Dieser ist wohl beim Versuch, die Grenze ohne Papiere zu überqueren, ertrunken.

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