10. November 2008

Ruanda

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Nach einer Nacht im Grenzort Ugandas überlegen wir, wie wir die bei der anstehenden Wiedereinreise nach Uganda anfallende Visagebühr umgehen können. Da unser ungandisches „singel entry“ Visa ohne Abstemplung für den Rückweg durch Uganda noch gültig wäre, müssten wir nur in Ruanda ohne Stempel ein- und ausreisen. Doch der Plan, zwei Pässe auf ugandischer Seite nicht abstempeln zu lassen, schlägt fehl. Anfangs scheint alles wunderbar zu klappen, Olli und Hetai kommen ungesehen und ohne Ausreisestempel nach Ruanda. Nur Guido kann sich mit Flitzer schlecht über die Grenze mogeln. Als er offiziell nach Ruanda ausreisen möchte, lässt ihn der ugandische Grenzbeamte nicht passieren, da es sich schon bis zu ihm herumgesprochen hat, dass drei Weiße in dem Bus unterwegs sind. Guido versucht ihm beizubringen, dass er die anderen Beiden nur per Anhalter mitgenommen habe, sie nicht kennen würde und im Übrigen nicht wüsste wo die Beiden gerade sind. Dies stößt bei dem Grenzbeamten auf wenig Glauben und er verlangt ziemlich gereizt von Guido, die Beiden zu suchen, schnell zu finden und mit ihnen bei ihm aufzukreuzen. Mit der äußerst glaubwürdigen Ausrede, sie waren nur eben in Ruanda, um sich über die Wechselkurse zu informieren, stehen wir kurze Zeit später zu Dritt in seinem Büro. Anscheinend ist er mit dem richtigen Bein aufgestanden und lässt uns, aber nicht ohne böse Miene und Stempel passieren.


Erste Kontakte zur Landbevölkerung werden gleich beim Anhalten zum Essen in einem ruandischen Restaurant geknüpft. Kaum angehalten, ist der Bus sekundenschnell von Leuten umringt. Da wir bereits Geld gewechselt haben, verlieren die lauthals schreienden Geldwechsler schnell ihr Interesse. Ruanda ist, wie der Wirt erklärt, belgische Kolonie gewesen und deshalb frankophon. Das Ruanda zuvor deutsche Kolonie gewesen ist, scheint ihm neu zu sein. Als internationalen Superlativ kann das Land damit trumpfen, das am dichtesten besiedelte der Welt zu sein. Bis auf den nun wieder vorherrschenden Rechtsverkehr sind aufs erste kaum Unterschiede zu Uganda festzustellen. Auf befestigter Straße geht’s erstmal nach Giseni, ein Urlaubsort der ruandischen Oberschicht. Hier kann man an Sandstränden unter Sonnenschirmen gekühlte Getränke zu sich nehmen oder sich ein bisschen in die Sonne legen. Der Blick auf die umliegenden Berge, das türkise Wasser und einer Gasbohrinsel am Horizont verfeinern das Ambiente.


„Unser Hotel hat sogar seinen eigenen Strand“, erklärt die gesprächige Hotelbesitzerin und steckt sich eine weitere Zigarette an. Er sei einige Kilometer entfernt, aber mit einem hoteleigenen Boot zu erreichen. Unsere Verwunderung darüber scheint aufzufallen. So zögert sie nicht, ihre Überzeugung kundzutun, wonach man keine Minute ungestört an einem öffentlichen Strand sein könnte. Womit sie wohl auch nicht Unrecht hat. Wir ziehen in Erwägung, den Strand mal aufzusuchen. Eigentlich erstaunlich, wie schnell sich gewisse Realitäten verschieben. Zu Hause wäre man sichtlich verärgert über exklusive Strände für Hotelgäste, die einem am Badespaß hindern. Hier in einem Land, wo man alleine durch den Besitz einer hellen Hautfarbe als Reicher gilt, zählt man gleich zur High Society und wird dementsprechend behandelt. In Europa wären wir mit unseren Anliegen, dass 10 Dollar für eine Übernachtung zu teuer sei und wir viel lieber für die Hälfte im Garten zelten würden, aber dennoch die sanitären Anlagen voll nutzen wollen, wohl von oben herab belächelt worden oder gleich in hohen Bogen raus geflogen. Hier wird man noch zum Strand eingeladen. Letztendlich lässt das Wetter und unsere Zeitplanung dann doch keinen Besuch ihrer Strandanlage zu. Bis auf den See mit seinen Sandstränden und einer Brauereibesichtigung, die mit Bierverköstigung wirbt, hat Giseni nicht allzu viel “Entertainment“ zu bieten.


Wir setzen unsere Hoffnung in die Hauptstadt Kigali. Hier angekommen, haben wir das Vergnügen, im Stop und Go Feierabendverkehr bei steil ansteigenden Straßen die Stadt kennenzulernen. Der Abend endet nach der Hotelsuche mit einer Fußballübertragung der Champions League: Manchester gegen Chelsea. Eigenartig, warum sich hier alle Welt für englischen Fußball interessiert. Man wird aber trotzdem erinnert in Afrika zu sein: der erstaunlich große Fernseher verzerrt die Übertragung stark und ist im linken Teil blaustichig, wobei man durch den Einfallswinkel von unseren Sitzplatz eh nur bedingt etwas erkennen kann. Ergänzt wird das Spektakel noch durch drei Stromausfälle. Beim Verrücken des Tisches zerfällt dieser fast und der Manager schmeißt uns beim „eleganten“ Bedienen noch ein Bier um. Da es trotzdem in Rechnung gestellt wird, beweist er wenigstens seine Großzügigkeit in Form eines kostenlosen Tellerchens mit Erdnüssen. Das Spiel endet in der Verlängerung und ein Großteil der Anwesenden springt von ihren Stühlen, schreit euphorisch und fällt sich in die Arme. Manchester hat gewonnen, doch unsere Hoffnungen, jetzt in lustiger Umgebung ein paar Bier trinken und das Geheimnis für das große Interesse an englischen Teams hier in Ruanda lüften zu können, werden enttäuscht. Der Großteil der lediglich fußballinteressierten Gäste verlässt gleich nach dem Spielende den Ort des Geschehens, um wohl möglichst bald Schlafen zu gehen. Naja, die afrikanische Alltagsrealität beginnt auch für die lokalen Fußballfreunde an weit entfernten Spielen sehr früh am nächsten Tag.


Etwas später werden wir hier noch unseren Spaß mit diesem unsympathischen Hotelmanager haben. Jedenfalls können wir uns wenigstens aussuchen, ob er uns betrügt oder wir ihn nur falsch verstanden haben. Ein eher symbolisches Frühstück, das in der ausgehandelten Übernachtung inbegriffen war, soll teuer bezahlt werden. Jeder von uns hat das Vergnügen, mit dem Chef persönlich nachzuverhandeln. Irgendwann bereuen wir alle, die steile Abfahrt zum Hotelparkplatz passiert zu haben. Es wird nicht das letzte Mal sein, denn beim späteren Versuch das Hotel zu verlassen, stellt sich heraus, dass unserer PS-schwacher Kleinbus nicht so einfach die Steigung zur Hauptverkehrsstraße hochkommt. Mit Schweiß, einem gewissen Kollateralschaden der Kupplung, Muskelkraft und vielen Steinen, die hinter die Räder gelegt werden, gelingt es - Stück für Stück - nicht nur wieder hochzukommen, sondern auch eine gelungene Performance für alle Anwesenden zu bieten.


In der Zwischenzeit nutzen wir jedoch die Möglichkeit, das wirklich empfehlenswerte Völkermordmuseum zu besuchen. Bis dato haben wir, bis auf einige Geschichten von David, recht wenig von den blutigen Auseinandersetzungen mitgekommen. Er ist hier mit seinen Eltern als Ausländer aufgewachsen und als sich die Lage damals zuspitzte, nach England zurückgekehrt. In England arbeitet er im Krankenhaus als Krankenpfleger und hier gibt er gerade eine Fortbildung zu medizinischen Fragen im Hospital seines damaligen Wohnortes und ist bei seinem damaligen Kindermädchen untergebracht. Sie vergrub damals ihr Geschirr und ähnliche Wertgegenstände im Garten und hat mit dem letzten Ersparten und zwei Familienbildern die Flucht ergriffen. In Anbetracht der geringen zeitlichen Distanz und der enorm grausamen Dimension des Geschehens ist der Genozid kaum ein Thema, das wir in unserem Reisealltag wahrnehmen. Oder vielleicht gerade deshalb? Erwartungsvoll machen wir uns auf den Weg. Leider erstmal in die falsche Richtung. Von der Hitze gezeichnet erreichen wir leicht zeitversetzt das Genozidmemorial.


Als Reaktion auf einen Sprengstoffanschlag auf das Memorial werden am Eingang Sicherheitskontrollen durchgeführt. Auf dem Gelände befinden sich neben dem Museum einige Massengräber und ein Garten des Gedenkens. Man wird durch einen dreifach geteilten Rundweg geleitet. Hier wird die Konstruktion verschiedener Ethnien während der Kolonialgeschichte, die Vorbereitungen und die Durchführung des Völkermordes der Hutus an den Tutsis eindrucksvoll dargestellt. Innerhalb von knapp 100 Tagen wurde jeder Zehnte umgebracht und 70 Prozent der Bevölkerung traten die Flucht an. Die UN wird hier angeklagt, dass sie ihre Truppenstärke trotz sich mehrender Hinweise auf einen bevorstehenden Völkermord in Form von Massakern reduzierte. Selbst die für die Evakuierung westlicher Staatsbürger eingesetzten UN-Soldaten, hätten ausgereicht den Völkermord zu beenden. Fotos und Videoinstallationen von verstümmelten Landbewohnern, Narben in Kindergesichtern, blutigen Macheten und Tötungsszenen an Straßensperren prägen sich in unser Gedächtnis ein. Nach dem Rundweg erreicht man die Mitte des Gebäudes und befindet sich zwischen verschiedenen Skulpturen. Es gibt verschiedene Räume, in denen Zeitzeugeninterviews auf Leinwand projiziert werden. Im oberen Stockwerk gibt es außerdem zwei separate Ausstellungen. Eine mit Fotos verschwundener Kinder und die andere über weltweit stattgefundene Völkermorde. Deutschland ist das einzige Land, welches zweimal thematisiert wird. Alles in allem harter, schwerverdaulicher Stoff.


In der folgenden Nacht schläft mindestens Hetai unruhig. Mitten in der Nacht wacht er auf um sich zu erleichtern. Im dichten Nebel steigt er aus dem Bus heraus und geht auf der Suche nach einem geeigneten Plätzchen ein paar Meter in die Dunkelheit. Ihm rutscht fast das Herz in die Hose, als er die Konturen zweier Männer, die sich laut artikulierend und mit Macheten bewaffnet auf ihm zustürmen, sieht. Kurz vor ihm machen sie kehrt. Zum Glück sind es nur die Nachtwächter...

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